Gestern - heute -morgen
Wie war das,
vor 34 Jahren, als die Mauer eingerissen wurde, und nicht nur – zumindest in unserer Gegend – die ganze Gesellschaft in Aufruhr und Aufbruch war, sondern auch die Eisenbahn, die damals noch Deutsche Reichsbahn hieß, vor horrenden Aufgaben stand? Alles strömte Richtung „Westen“, um zu schnuppern, zu schauen, zu kaufen. Nebenher galt es, den Regelbetrieb aufrecht zu erhalten, der noch gekennzeichnet war von Güterverkehr auch auf den kleinsten Nebenstrecken (was auch heute noch vernünftig wäre, aber wir sind ja sooo viel „schlauer“ geworden…), vom Rangieren als Alltag fast aller Bahnhöfe und von Dienststellen nicht selten im nicht mal 10-Kilometer-Abstand?
Personal war auch damals Mangelware. Aber es war eben noch eine Bahn, die bereichs- und gewerkeübergreifend handlungsfähig und -willig war, wo im Bedarfsfalle gezaubert wurde und auch werden durfte, ohne dass fachfremde Oberschlaue in den Zentraletagen dies blockiert oder tot reguliert hätten. Wenn da nachts im November 1989 die Bahnsteige übervoll waren von Menschen, die nach Hessen oder Bayern wollten? Dann wurden aus den Ecken des Bahnhofs ein paar Wagen geholt, zusammengestellt, eine Lok geordert, Zugpersonal organisiert - ein Wagenmeister war auch zur Stelle -, der Fahrdienstleiter hat über die Dispatcherleitung einen Fahrplan mit Zugnummer beschafft, die Aufsicht Personenbahnhof hat alles koordiniert und die Leute informiert - und los ging es.
Heute
undenkbar, dafür sind wir durchorganisiert, mit Kennzahlen und „End-to-end“-Prozessen, mit „Lean“-Strategien und Performance-Management. Jede und jeder hat zu wissen, oder sich von Systemen unabhängig aller Vernunft vorschreiben zu lassen, was zu tun ist und wo die Grenze dafür ist, die nicht überschritten werden darf. Die Bahn ist wirtschaftlich fein strukturiert und in sich voneinander abgegrenzt (wenigstens ist sie formell noch nicht getrennt!) und vor allem wettbewerblich organisiert. Was nicht verhindert hat – und vielleicht gar gewollt war - sie fast kaputt zu sparen (mit Ausnahme der zentralen Bereiche natürlich), wofür politisch und unternehmerisch heute niemand mehr verantwortlich sein will. Es gibt ja die Eisenbahner:innen an der Basis, welche – obwohl SIE es waren, die immer wieder mit ihren Interessenvertretungen vor dem falschen Kurs gewarnt haben - die Rechnung des Elite-Versagens mit ihrer Mehrbelastung, ihrer Flexibilität, ihren Nerven und dem beschädigten, wenn noch nicht völlig verloren gegangenen Idealismus bezahlen.
Wie wird es werden,
in einer Zeit, da man offenbar endlich erkannt zu haben scheint, dass es ohne die Schiene und ausreichend Geld für sie eben doch nicht geht, in der sie sogar als notwendig „stark“ beschworen wird, aber leider auch große Programme nötig sind, um das nach dem vorangegangenen politisch gewollten Ausbluten wieder zu erreichen?
Beides muss getan werden: die großen EU-Korridorprojekte und das Hochleistungsnetz sichern die Zukunft der Bahn und werden leider Zeit erfordern. Dies wird den Unmut unserer Kunden und unserer ausländischen Nachbarn ins schier Unerträgliche steigern. Zugleich müssen Weichen, zusätzliche Gleise und Fachpersonal an neuralgischen Punkten rasch aufgestockt werden. Dem stehen Umbauverbote von Stellwerken, langwierige Prozesse und Personalmangel entgegen. Hier ist rasche und wirkungsvolle Abhilfe nötig. Dies wird zum Prüfstein für die Zukunftsfähigkeit unserer Bahn und unseres gesamten Landes, denn außergewöhnliche Probleme erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.
Und wer wollte bestreiten, dass die unpünktlichste Bahn Europas ein Problem für alle darstellt, an das wir uns keinesfalls gewöhnen wollen. Und für das wir leider auch kein Verständnis aufbringen – wem gegenüber auch immer.
Von Matthias Altmann, Vorstandsmitglied der Grünen EVGler:innen