Zukunft der Bahn – Bahn der Zukunft

Von Laura Wahl

Handlungsbedarf

Für das Bahnsystem in Deutschland gibt es drei prioritäre Handlungsbedarfe:

·       Leistung und Qualität

·       Klima und Umwelt

·       Finanzierung

Auf einem Netz, das seit der Bahnreform[1] um 15 % geschrumpft ist und die Hälfte seiner Weichen verloren hat, fahren mehr Züge als vor der Bahnreform. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit leiden: 2020 sind über 140 000 Züge ausgefallen. Der Satz „Pünktlich wie die Eisenbahn“ stammt noch aus einer Zeit, als ein Zugausfall der Super-GAU für alle betroffenen Eisenbahner:innen war. Ende der 50er Jahre waren nur 6 % der Züge[2] mehr als eine Minute verspätet.

Dabei ist heute das Bahnsystem ganz besonders gefordert, die drohende Klima- und Umweltkatastrophe abzuwenden. Denn im Verkehrssektor herrscht der höchste Handlungsbedarf. Alle Industriesektoren konnten den CO2-Ausstoß deutlich senken, außer der Straßenverkehr. Dort wurden alle Antriebs- und Umweltinnovationen durch mehr und schwerere Autos aufgezehrt. Zusätzlich sorgt der Reifenabrieb – rund 1 Kilogramm pro Einwohner:in und Jahr oder bereits nach 1700 km Autofahrt – für immer mehr Mikroplastik in Böden, Nahrung und menschlichen Körpern. Dabei sind viele Bahnstrecken elektrifiziert und der Stahl-Stahl-Rollkontakt zwischen Rad und Schiene sorgt für einen bis zu 30-mal geringeren Rollwiderstand als beim Auto: Ein enormes Plus der Bahn in Energie-Effizienz und Umweltschutz. Bereits 1 % des Straßen-Güterverkehrs auf die Schiene zu verlagern würde neben Tonnen von Gummiabrieb nebenbei 500 000 t CO2/Jahr einsparen.

Warum gewinnt die Bahn bisher keine Verkehrsanteile von der Straße, warum fällt die „Verkehrswende“ bisher aus? Weil in die Straße seit Jahrzehnten und selbst heute noch mehr Geld gesteckt wird als in die Schieneninfrastruktur. Nur 60 % der Bahnstrecken sind bisher elektrifiziert. Deutschland wurde in jahrzehntelanger Arbeit umgebaut: Straßen auf- und Bahnen abgebaut. Deutschland gehört zu den Schlusslichtern bei Investitionen in die Bahn im EU-Vergleich. Viele Länder geben ein Mehrfaches je Einwohner:in für ihre Bahn aus als das reiche Deutschland. Das muss sich ändern! Es wird Zeit, endlich die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und von den Besten zu lernen.

Von den Besten lernen

Die Verkehrswende folgt dem Geld. Erwiesen ist: Je mehr ein Land pro Kopf für die Bahn ausgibt oder diese Ausgaben in den letzten Jahren gesteigert hat, desto mehr Verkehr wird von der Straße auf die Schiene verlagert. Nicht eine Trennung von Netz und Betrieb oder noch mehr Privatisierung haben den Bahnen geholfen, sondern das gleiche Rezept, das die Straße stark gemacht hat, wird jetzt für eine starke Bahn benötigt: Viel Geld in den Aus- und Neubau der Bahninfrastruktur. Stellwerke aus Kaiser’s Zeiten gehören ins Museum und nicht mehr an die Bahnstrecken in Deutschland.

Manche mögen einwenden: „Aber es fließt doch schon so viel Geld in die Bahnen! Die Regionalisierungsmittel wurden verfünffacht gegenüber den früheren SPNV-Bundeszuschüssen an die Bahn!“. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die Zugkilometer im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) wurden nicht verfünffacht, sondern gerade einmal verdoppelt. Teure und aufwändige Bürokratien in den Bundesländern mit ihren Aufgabenträgern und Verbünden sind entstanden, die u.a. Heerscharen von Berater:innen für Ausschreibungs-Wettbewerbe finanzieren. Erste Bundesländer steuern um und nutzen die EU-konformen Direktvergaben an eigene Landesbahnen, um dem Dilemma des Prekariats-Wettbewerbs zu entkommen. Die Frage muss erlaubt sein: Warum werden gemeinwirtschaftlich finanzierte Leistungen nicht direkt durch gemeinwirtschaftliche Unternehmen erbracht wie bei vielen Stadt- und Kommunalverkehren? Landesbahnen können eine Lösung sein, oder eine bundeseigene Bahn, die es schon gibt: Die Deutsche Bahn.

Ein Blick auf die Wettbewerber der DB zeigt: Es sind zumeist Staatsunternehmen. Also liefern sich EU-Mitgliedstaaten einen Wettbewerb um Steuergelder über den Weg von Ausschreibungsgewinnen im Ausland. Ergibt das Sinn?

Bahnen waren und sind immer im Wettbewerb – gegenüber der Straße. Die Erfahrung beweist: Alle innovativen und leistungsfähigen Bahnen sind integrierte Bahnen mit Netz und Betrieb aus einer Hand[3]. Bahnen, die kooperieren, gewinnen. Bahnen, die konkurrieren, verlieren. Denn alle Bahnen nutzen das gleiche Netz, und das Netz fährt die Züge. Das ist es, was Politik bis heute kaum versteht: Die Bahn ist ein automatisierungsaffines System mit Zügen, die auf und von einer Infrastruktur durch deren Leit- und Sicherheitstechnik geführt werden. Dies ist der grundlegende Unterschied zum autonomen Fahren auf der Straße, bei dem ein Fahrer oder das autonome Fahrzeug selbst ständig lokal ihre Umgebung erfassen und danach Fahrentscheidungen treffen und korrigieren. Die Digitalisierung und Automatisierung wird die Integration der Züge in das Bahnsystem noch weiter verstärken.

Nur eine starke Bahn gibt Zukunft

Wir alle wissen: Trotz Planungsbeschleunigung wird der Aus- und Neubau von Bahnstrecken dauern. Digitalisierung und Automatisierung können rascher etwa 20 % mehr Kapazität schaffen. Das ist dringend, doch nur ein Einstieg, denn es ist noch viel zu wenig für die notwendige Verkehrswende.

Mit der für die Wettbewerbsfähigkeit des Bahnsystems notwendigen Digitalisierung und Automatisierung wächst ein neues Systemverständnis. Dieses verlangt nach neuen Kooperationsmodellen im Bahnbereich. Open Access bleibt ein unbestrittenes Grundprinzip und wird durch den D-Takt und eine starke Systemführung durch die DB weiterentwickelt.

Oberstes Ziel muss bleiben, die Schiene für Kund:innen attraktiver und leichter zugänglich machen, dazu faire Rahmenbedingungen mit voller Internalisierung externer Kosten im Verkehrsmarkt zu schaffen und die Investitionen in die Schiene drastisch zu erhöhen.

Wir glauben, dass es nun darauf ankommt, viele kleine Stellschrauben zu drehen und nach dem Prinzip „Trial & Error“ zu lernen, um rasch viele Verbesserungen zu erzielen. Dabei sind Reformdiskussionen notwendig, die eine Kultur der Zuständigkeit fördern und die Erkenntnisse der Volkswirtschaftslehre respektieren. Danach gibt es zwei wesentliche Kräfte, die zum wirtschaftlichen Fortschritt beitragen: Wettbewerb, und zwar einen um Ideen und innovative Weiterentwicklungen, UND Kooperation.

Schließlich, um mit Adam Smith zu sprechen, besteht die Eisenbahn nur zu 5 % aus Eisen und zu 95 % aus Menschen. Eine Eisenbahn, die den Eisenbahner:innen gute Zukunftsperspektiven[4] gibt, wird auch allen Kund:innen beste Leistungen bieten.

[1] Die Bahn im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb, Ehemalige des MA Heilbronn, 2020, https://www.youtube.com/watch?v=EuhWTr96r3s

[2] Die Bahn im Jahre 1958: In großen Zügen - Eine Studie über die arme, reiche Bundesbahn, Hessischer Rundfunk, 1958, youtube: https://www.youtube.com/watch?v=kWQH--ubZJU, und: 1963 – Wie pünktlich war die Bahn? SWR-Fernsehen, 2019, youtube: https://www.youtube.com/watch?v=abt6U98vg9o

[3] Grüne EVGler:innen: Untrennbar – Warum Netz und Betrieb zusammengehören, Januar 2021, https://www.lok-report.de/images/news/news_2021_03/Positionspapier_Trennung_von%20Netz_und_Betrieb.pdf, und: Grüne EVGler:innen: Ist die Bahn integriert genug? Verkehrsmanager 3/2021, S. 19 & 20, Verkehrsmanager_3_2021.pdf (bfbahnen.de)

[4] https://www.gruene-evglerinnen.de

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