Die Trennungs-diskussion als Nebelkerze

Ein Zwischenruf der Grünen EVGler:innen zur Debatte um die InfraGo

Was wir fordern:

1. Ziele von InfraGo klarstellen: Die Politik interpretiert das Wort "Gemeinwohl" in der Debatte um InfraGo unterschiedlich, hier braucht es eine Klarstellung. 

2. Keine Ablenkungsmanöver mehr: Strukturreformen bei der Bahn können keine auskömmliche Finanzierung ersetzen.

3. Keine Trennung von Netz und Betrieb: Es gibt keine nachgewiesenen positiven Effekte durch eine Trennung von Netz und Betrieb.

 Einleitung

Aktuell wird gerade wieder viel über die Bahn diskutiert. Dies ist angesichts der schlechten Betriebsqualität nachvollziehbar. Gleichzeitig soll die Bahn das Verkehrsmittel der Zukunft sein und die Verkehrswende ermöglichen. Es muss also etwas geschehen. Wir grünen EVGler:innen sind der Meinung, dass hier politisch einiges noch nicht rund läuft und fordern deshalb:

 1. Ziele von InfraGo klarstellen

Wir sind offen für sinnvolle Reformen innerhalb eines integrierten Konzerns, insofern sie nicht die dringend notwendige Verkehrswende auf Jahre lähmen und tarifliche Arbeitsplätze und Regelungen gefährden. Konzernbereiche zu verschmelzen, halten wir für denkbar, bzw. sogar notwendig. Eine Zusammenführung von Unternehmen mit inhaltlichen und organisatorischen Überschneidungen scheint möglich und sinnvoll.

Wichtig ist bei der Reform rund um InfraGo aber die Frage, was "Gemeinwohl" denn überhaupt bedeutet. Sicherlich haben die Koalitionspartner:innen unterschiedliche Interpretationen. Hier muss die Formulierung im Koalitionsvertrag nun klargestellt werden.

Für uns bedeutet "Gemeinwohl" u.a. eine nicht-gewinnorientierte Gesellschaft, die innerhalb des integrierten Konzerns weiterbesteht und die Mindestmobilitätsstandards in hoher Qualität landesweit sicherstellt (vergleichbar mit Strom-, Wasser- und Gesundheitsversorgung). Außerdem schlagen wir die Besetzung eines Aufsichtsrates oder eines Beirates vor, der demokratisch neu aufgestellt werden muss und wo neben den Vertreter:innen der bisherigen Gruppen auch Vertreter:innen aus Kunden-, Umweltverbänden und Verkehrswissenschaftler:innen verbindliche Entscheidungen treffen können. Gegebenenfalls ist hierfür eine Rechtsformänderung notwendig.

Bisher hieß der Auftrag an die DB, vor allem bei von der Union geführten Verkehrsministerien, keinen "Ärger" zu verursachen, um dann auch gerne den "Buhmann" für die Politik machen zu können (z.B. beim Thema Verspätung). Genau dieses Problem wird sich mit der Infrastrukturgesellschaft aber nicht lösen lassen - weiterhin kann die Politik als 100%ige Eigentümerin die Geschäftsführung bestimmen, muss aber keine Verantwortung übernehmen, sondern kann weiterhin bei Bedarf auf die „blöde Bahn“ schimpfen. Ernst zu nehmen ist die Reform also erst dann, wenn die Politik direkte Verantwortung für die Infrastrukturgesellschaft übernimmt.

 2. Keine Ablenkungsmanöver mehr

Die momentan vorgeschlagene Variante einer Infrastrukturgesellschaft, InfraGO, darf nicht zur Alibi-Debatte werden, mit der von fehlendem Geld und der Verantwortlichkeit der Politik für diese Entwicklung abgelenkt werden soll. Mindestens 45 Milliarden Euro, wie im Koalitionsausschuss am 28. März 2023 beschlossen, sind für die wichtigsten Investitionen in die Schieneninfrastruktur notwendig. Der Modernisierungsrückstau ist bereits auf etwa 90 Mrd. Euro (plus Steigerungen durch Inflation) angewachsen und seine Beseitigung duldet keinen Aufschub.

Die Wachstumsziele sind ohne eine auskömmliche Finanzierung nicht umsetzbar. Denn wenn die Stellwerke der DB nicht besetzt sind, fährt auch kein Zug anderer Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und wenn die Strecken überlastet sind, stehen diese genauso im Stau. Sprich: An einer auskömmlichen Finanzierung führt kein Weg vorbei. Um es an dieser Stelle mit Zahlen zu untermauern: Seit 1994 wurde das Netz um 20 Prozent verkleinert. Mehr als 80 Prozent der Gleisanschlüsse sind seither verschwunden. Der Personenverkehr ist gleichzeitig um über 40 und der Güterverkehr um über 80 Prozent gewachsen[1]. Das Netz wurde nicht nur verstümmelt, sondern auch kaum modernisiert. Alte Strecken und Bahnhöfe sind dem dichten Bahnverkehr nicht mehr gewachsen. Wir brauchen also nicht nur einen moderaten Mittelaufwuchs für die Wiederbelebung der Schiene, sondern einen starken. 

3. Keine Trennung von Netz und Betrieb

Die Union fordert in einem Reformpapier die Aufspaltung der Deutschen Bahn AG (DB) und die vollständige Trennung von Infrastruktur und Betrieb. Die Union steht mit dieser Forderung nicht allein da, immer wieder kommt diese Forderung von verschiedenen Akteuren auf.

Wir kennen ebenfalls keinen Beleg, dass eine Trennung für die Bahn und ihre Nutzer:innen in irgendeiner Form Verbesserungen bringen würde. Wenn Kapazität und Leistungsfähigkeit im Netz fehlen, werden andere Anbieter genauso wenig fahren wie die DB selbst. Die Realität zeigt, dass die Kapital- und Verwaltungsvoraussetzungen für den Start eines EVU so hoch sind, dass diese oft als Auslandsbeteiligungen von Staatsbahnen anderer Staaten erfolgen. So werden hier mit deutschen Steuergeldern Staatsunternehmen in den Niederlanden, Frankreich oder Italien subventioniert.

Mit zunehmender Entflechtung und damit Entfremdung von Infrastruktur und Zugbetrieb wird sich die Infrastruktur auf Kosten der Fahrzeuge optimieren, und umgekehrt. Leasingfirmen und Fahrzeughersteller werden primär ihre Gewinnchancen ausbauen. Eine Gesamtverantwortung für das Bahnsystem, das aus der Infrastruktur als natürlichem Monopol und aus Fahrzeugen konkurrierender und zunehmend volatiler Hersteller besteht, können weder konkurrierende Leasingfirmen noch Fahrzeughersteller selbst wahrnehmen.

Diese Gesamtverantwortung wird beim Eigentümer des Netzes als Systemführer verbleiben und muss zunehmend europäisch gedacht werden, denn die Netze werden immer kooperativ und niemals im Wettbewerb betrieben.

Private Zugbetreiber fordern schon lange, staatliche Fahrzeuge an Pools zu übergeben, aus denen sie sich dann bedienen. Große Finanzinvestoren (Leasingfirmen) kaufen Züge mit dem Geld von Rentenfonds und Versicherungen. Sie erneuern und vergrößern ihre Fahrzeugpools und vermieten daraus Fahrzeuge an Zugbetreiber weiter. Subventionierte Zugbetreiber, etwa im Regionalverkehr, zahlen zuverlässig viele Jahre Steuergelder an die Finanzinvestoren. Diese Gewinne der Finanzinvestoren stammen aus den Regionalisierungsmitteln des Bundes an die Länder. Für Fahrzeughersteller sind Finanzinvestoren in Form von Leasingfirmen mittlerweile interessantere Kunden als die staatlichen Bahnen. Die Leasingfirmen bündeln große Fahrzeug-Stückzahlen vieler in kleinteiligen Ausschreibungen gefangener Zugbetreiber.

Für Finanzinvestoren sind Netz und Züge in einer Hand geschäftsschädigend. Sie benötigen den vollständigen Zugriff auf ihre Züge für ihr Geschäftsmodell. Ein Zug ist für sie die kleinste betriebliche Einheit. Fahrzeughersteller und Leasingfirmen wollen ihre Risiken minimieren. Jede betriebliche Behandlung, jedes Kuppeln und Entkuppeln, kann eine Störung verursachen. Daher propagieren sie auch Triebzüge, wo lokbespannte Züge betrieblich sinnvoller wären. Störungen sollen – wenn überhaupt - außerhalb ihres eigenen Verantwortungsbereichs auftreten. 

Auch die Erfahrungen aus der Vergangenheit mit der Auftrennung des Eisenbahnsystems sind nicht positiv: So führte die Regionalisierung des SPNV zwar zu einer Verdopplung der Verkehrsleistung, doch bei einer Verfünffachung der Kosten seit der Bahnreform[2]. Direkte Bundesmittel zum Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen der Bundesbahn werden heute in vielfacher Höhe für die ausufernde Verwaltungsbürokratie der Aufgabenträger, ihrer zahlreichen Beratungsfirmen und nicht zuletzt zur Gewinngenerierung der Fahrzeugleasinggeber eingesetzt. Die Fahrzeugleasinggeber sind internationale Finanzinvestoren, die Kapital von Versicherungen und Rentenfonds in Fahrzeugflotten für den SPNV anlegen, um die Leasingzahlungen aus den Regionalisierungsmitteln des Bundes an die Aufgabenträger in private Gewinne umzuformen. Steuerzahler:innen finanzieren also über die Regionalisierung des SPNV nicht nur zahlreiche Beratungsfirmen, sondern auch die Geschäftsmodelle internationaler Finanzinvestoren.

Wie die katastrophalen Erfahrungen der Privatisierungen in den 90ern und 00er Jahren oder etwa in Großbritannien gezeigt haben, ist das die langfristig teuerste und ineffizienteste Möglichkeit überhaupt. Mehr als genug Beispiele dafür finden sich im Gesundheitssektor, bei der Post, der Privatisierung kommunaler Dienstleistungen wie Müllabfuhr, Wasser und letztlich auch bei der Bundeswehr.

Wenn der Eigentümer bzw. Anteilseigner - der Bund - versagt, gute Voraussetzungen für seine Bahn zu schaffen, kann die Lösung nicht eine "Zerschlagung" sein.

Fazit

Wir Grünen EVGler:innen wollen eine funktionierende und gemeinwohlorientierten Bahn. Dies geht nur mit einer starken Steuerung durch die politische Hand und einer auskömmlichen Finanzierung. Wir wollen gemeinsam mit Gewerkschaft und Politik die Verkehrswende zukunftsfähig gestalten und das Potential der betrieblichen & unternehmerischen Mitbestimmung bestmöglich nutzen, um die Schiene für die Aufgaben im 21. Jahrhundert fit zu machen.

 

Der Vorstand der Grünen EVGler:innen


[1] https://www.allianz-pro-schiene.de/presse/pressemitteilungen/gedraengel-auf-den-schienen-wird-immer-groesser/

[2] https://www.netzbeirat.de/SharedDocs/Downloads/NB/Schwerpunktthemen/11_PM_2023_02_Sonder-Pressemitteilung_zur_aktuellen_Situation_bei_der_Schieneninfrastruktur.pdf?__blob=publicationFile&v=3

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